Beurteilen

1. Beurteilung und Diagnostik

Die Beurteilung und Bewertung von Schülerinnen- und Schülermerkmalen gehört zum Alltagsgeschäft von Lehrkräften. Das Urteil, das dabei gefällt wird, ist Ergebnis eines diagnostischen Prozesses.

Lehrkräfte betreiben also Diagnostik. Dabei gibt es vielfältige Variablen, die eine Beurteilung (mit)beeinflussen können, die aber nichts mit dem zu beurteilenden Merkmal (z.B. Leistung oder Motivation) von Schülerinnen bzw. Schülern zu tun haben. Kenntnisse über diese Urteilsprozesse und Möglichkeiten der Diagnostik sind daher essenzieller Bestandteil der professionellen Handlungskompetenz von Lehrkräften. Zudem sollten Lehrerinnen und Lehrer auch in der Lage sein, mögliche Vor- und Nachteile verschiedener Bewertungsformen (Noten, Berichtszeugnisse, Kompetenzraster) zu kennen und gegeneinander abzuwägen.

2. Aufgaben

Es folgen nun einige Übungen, die Sie mit Phänomenen möglicher Urteilsbeeinflussung und Tendenzen von Personen zu unterschiedlichen Beurteilungsstrategien vertraut machen sollen.

Im Folgenden lernen Sie drei mögliche Einflussgrößen kennen, die die Beurteilung von Schülerinnen und Schülern beeinflussen können:

  • Stereotype: Verallgemeinernde Zuschreibungen bestimmter Eigenschaften und Merkmale auf alle Mitglieder einer Gruppe. Dabei bleiben Unterschiede zwischen den Gruppenmitgliedern unberücksichtigt.
  • Halo-Effekt: Tendenz, unabhängige oder kaum zusammenhängende Merkmale einer Person als zusammenhängend wahrzunehmen.
  • Bezugsrahmeneffekt: Urteile werden anhand eines zur Verfügung stehenden Vergleichsmaßstabs getroffen.

Nachfolgend finden Sie Beispiele, in denen Situationen beschrieben sind, in denen die drei Einflussgrößen wirksam werden.

Die Hamburger Schulbehörde definiert den Sozialindex folgendermaßen:

Definition

„Der Sozialindex ist ein Maß für die soziale Belastung der verschiedenen Hamburger Schulen. Er beschreibt die soziale Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler: Wenn die meisten von ihnen aus bildungsfernen Schichten und schwierigen Verhältnissen kommen, hat die Schule einen Sozialindex von 1. Wenn sie aber hauptsächlich aus bildungsnahen Schichten und wohlhabenden Verhältnissen kommen, hat die Schule einen Sozialindex von 6.“ Mithilfe des Sozialindex soll zum einen die Verteilungsgerechtigkeit unterstützt werden: so erhalten Schulen mit schwierigen Bedingungen mehr Unterstützung (z.B. finanziell, personell) als diejenigen mit besseren Rahmenbedingungen. Zum anderen fördert der Sozialindex die Chancengleichheit, indem er dazu beiträgt, herkunftsbedingte Benachteiligungen von SchülerInnen sichtbar und damit bearbeitbar zu machen. Der Sozialindex ermöglicht zudem faire Vergleiche bei Lernstandserhebungen zwischen Schulen, indem nur Ergebnisse von Schülerinnen und Schülern aus Schulen mit ähnlichem Sozialindex miteinander verglichen werden. (Quelle: https://www.hamburg.de/bsb/hamburger-sozialindex/4025318/artikel-faq-sozialindex/

So können ganz unterschiedliche Maßstäbe bei der Bewertung der Leistungen von Personen angelegt werden. Dies wird als Bezugsnorm beschrieben. Folgende drei Bezugsnormen werden unterschieden:

  • Soziale Bezugsnorm: Vergleich der Leistung einer Person mit der Leistung anderer Personen (sozialer/interindividueller Vergleich)
  • Individuelle Bezugsnorm: Vergleich der Leistung einer Person mit einer früheren Leistung derselben Person (temporaler/intraindividueller Vergleich)
  • Sachliche/kriteriale Bezugsnorm: Vergleich der Leistung mit einem inhaltlich begründeten oder vorher festgelegten Standard

Menschen unterscheiden sich dabei darin, welchen Maßstab sie bevorzugen. Mithilfe der folgenden Übung können Sie herausfinden, ob Sie eher eine soziale oder individuelle Bezugsnorm bevorzugen (für die Prüfung einer Bevorzugung der sachlichen Bezugsnorm mangelt es aktuell noch an geeigneten Verfahren).

Hier finden Sie eine kleine Beurteilungsaufgabe:

Überlegen Sie, was Ihr Ergebnis in der „kleinen Beurteilungsaufgabe“ für Ihre spätere Tätigkeit als Lehrerin oder Lehrer bedeuten kann. Notieren Sie ein paar Stichpunkte!

Abschluss

Sie haben nun ein paar relevante Aspekte im Bereich der Diagnostik praktizierender Lehrkräfte kennen gelernt. Dabei ist hoffentlich deutlich geworden, dass Diagnostik im Schulalltag auch anfällig für Fehler ist. In der Lehramtsausbildung werden Sie entsprechende Kenntnisse erwerben, um später Leistungsbeurteilungen, mit denen Sie die individuellen Bildungschancen von Schülerinnen und Schülern mit beeinflussen, professionell und verantwortungsvoll durchzuführen. Überlegen Sie abschließend, wie sehr Sie sich für den Bereich „Diagnostizieren, Beurteilen & Bewerten“ innerhalb der Lehramtsausbildung interessieren.

Weiterführende Literatur

Hesse, I., & Latzko, B. (2017). Diagnostik für Lehrkräfte. Opladen: Verlag Barbara Budrich.
Zimmermann, F., Möller, J., & Riecke-Baulecke, T. (Hrsg.) (2019). Basiswissen Lehrerbildung: Schulische Diagnostik und Leistungsbeurteilung. Seelze: Kallmeyer.